Über Sinn sprechen
Wir alle brauchen die Erfahrung von Sinn. Dieser ergibt sich im gemeinsamen Austausch, wenn wir zusammenkommen, die eigenen Handlungen hinterfragen und uns über das Wesentliche verständigen. Die politische Theoretikerin Hannah Arendt erklärt, dass dort, wo Menschen in dieser Form zusammenkommen, ein öffentlicher ‚politischer‘ Raum entsteht. Diese Formulierung kann leicht missverstanden werden, da die Begriffe ‚Politik‘ und ‚politisch‘ heutzutage negative Konnotationen haben, zum Beispiel wenn wir sagen, dass jemand politisch agiert. Arendt benutzt die Begriffe anders. Sie bezeichnet mit Politik und dem Politischen eine allgemeine menschliche Bedingung: Als Gleiche unter Gleichen sein und gemeinsam über wesentliche Dinge sprechen.
Und der Bezug zu Organisationen?
Wie aber können wir bezogen auf Organisationen das Konzept der öffentlichen politischen Räume anwenden? In Unternehmen kommt ein Großteil der Beschäftigten täglich in unzähligen Meetings zusammen. Und tatsächlich konstituiert jedes Meeting einen öffentlichen Raum, auch wenn dieser oft klein ist. Denn in Meetings handeln und sprechen wir vor anderen. Natürlich stellen größere Meetings auch eine größere Öffentlichkeit dar.
Wenn der Rahmen klar ist
Aber nicht jedes Meeting qualifiziert sich als einen ‚politischen’ öffentlichen Raum in Sinne von Hannah Arendt. Und das ist auch nicht notwendig. In vielen Situationen ist ein instrumentaler Ansatz angemessen: Die Beteiligten kommen zusammen, besprechen ein operatives Problem, eine Entscheidung wird getroffen und es geht weiter.
Wenn Grundsätzliches in Frage steht
Die ‚politische’ Qualität wird dann wichtig, wenn die Beteiligten mit fundamentalen Themen Schwierigkeiten haben: Wenn sie in Zweifel sind über die strategische Richtung. Oder wenn sie Entscheidungen des Managements nicht zustimmen. Oder wenn sie etablierte Rollen und Verantwortlichkeiten in Frage stellen. Dabei erkennen wir direkt, dass solche Themen emotional aufgeladen sind.
Sich als eine Gemeinschaft erleben
Hier lässt sich nun beobachten, dass in Unternehmen kaum ein offizielles Meeting wirklich diese politische Qualität entwickelt. Das liegt nicht daran, dass es keine kritischen Themen gibt. Aber diese Themen vor vielen Leuten anzusprechen, wird generell vermieden. Es gibt zwei Gründe dafür. Erstens ist in Organisationen ein Meetingdesign üblich, das es sehr schwierig und riskant macht, ‚heiße‘ Themen zu adressieren. Zum zweiten fürchtet das Management häufig, hinsichtlich der Ergebnisse nicht in Kontrolle zu sein. Und es ist richtig, dass Gruppen zu völlig neuen und ungeplanten Schlussfolgerungen kommen können. Aber was die Gruppe als Ganzes tun wird, ist sowieso nicht planbar. Wenn wir Meetings ‚kontrollieren‘, indem wir ‚heiße‘ Themen unterdrücken, werden diese damit nicht verschwinden. Vielmehr tauchen sie inoffiziell in Pausen und Flurgesprächen wieder auf und leben weiter.
Wenn wir dagegen solche kritischen Themen in öffentlichen Räumen behandeln, wird es für alle Beteiligten möglich, sinnvoll daran zu arbeiten und sich gleichzeitig als eine Gemeinschaft zu erleben. Dazu sind ein Design und eine Haltung erforderlich, die es leichter machen, an solchen Themen zu arbeiten.
Der Schritt in ein neues Denken
Wir können jetzt sehen, wie die vier vorgestellten Konzepte – die soziale menschliche Dimension, Emergenz, Identität und Anerkennung, öffentliche Räume – miteinander in Bezug stehen.
Sicherlich stellen die Konzepte eine Herausforderung für das vorherrschende Führungsdenken dar. Sie liefern keine einfachen Antworten. Aber eines ist sicher: Einfache Antworten reichen nicht, unsere komplexe Welt erfordert ein neues Denken.